Diskussionsunterlagen 2000 |
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I. EinführungDas Rennen beim Übergang von der Zentralverwaltungswirtschaft zur Marktwirtschaft hat nach zehn Jahren dazu geführt, dass eine Gruppe von Ländern sich der Ziellinie annähern, während andere an verschiedenen Stellen auf der Strecke zurückbleiben und einige gerade erst aus den Startblöcken gekommen sind. Einige mittel- und osteuropäische Länder (MOE) sowie die baltischen Staaten klopfen an die Türen der Europäischen Union. Aber in vielen Ländern der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS), einschließlich Russland, sind die Fortschritte bisher sehr ungleichmäßig, und die Aussichten bleiben trübe. (Siehe Kasten 1 zu der in dieser Abhandlung verwendeten Einstufung der Transformationsländer.)
Weshalb haben die MOE-Länder und die baltischen Staaten schnellere Fortschritte erzielt als die Länder der GUS? Und welche Richtung sollten Russland und die anderen Länder einschlagen? Diese umfassenden Fragen werden in den folgenden Abschnitten behandelt. Der Schwerpunkt des Haupttextes liegt auf den Transformationsländern in Europa und der ehemaligen Sowjetunion; die Entwicklungen in China und den Transformationsländern in Südostasien werden nur kurz angesprochen, werden aber in Kasten 2 behandelt. II. Die Elemente des ÜbergangsprozessesDie Hauptelemente des Übergangsprozesses wurden relativ früh beschlossen.1 Es handelte sich um Folgende:
Es war vorgesehen, die Liberalisierung und die makroökonomische Stabilisierung ebenso wie die Privatisierung von kleineren Unternehmen relativ schnell durchzuführen. Die Privatisierung größerer Unternehmen sowie die rechtlichen und institutionellen Reformen sollten zu einem späteren Zeitpunkt des Transformationsprozesses intensiviert werden und würden länger dauern. III. Die Eindämmung der Inflation und die Belebung der Produktion 2Zu Beginn des Übergangs stimmten die meisten Volkswirte überein, dass die Liberalisierung und die makroökonomische Stabilisierung trotz der wirtschaftlichen Not, die dadurch entstehen kann, schnell durchgeführt werden müssen, damit die Marktpreismechanismen funktionieren. Es herrschte die Auffassung, dass die Not nur vorübergehend und geringer ist, als wenn der Prozess in die Länge gezogen wird. Die Transformation begann also in den meisten Ländern damit, dass die Preise schnell von ihrem künstlich niedrigen Niveau befreit wurden. Dies führte zu einer plötzlichen Preiskorrektur nach oben und damit zu einer hohen Inflation. Die während der Phase der Zentralverwaltungswirtschaft entstandene aufgestaute Nachfrage verlängerte die Inflation. Zu Beginn des Übergangs lag die Inflation in den MOE-Ländern im Durchschnitt bei 450 %, in den baltischen Staaten bei fast 900 % und in der GUS bei über 1000 %. Im Jahre1998 dagegen war die Jahresinflation in den ersten beiden Gruppen auf einstellige Werte und in der dritten Gruppe auf 30 % gesenkt worden. Neben der Explosion der Inflation begann die Transformation mit einem anderen Schock: die Produktion ging zu Beginn des Übergangs in allen drei Ländergruppen zurück, im Durchschnitt um 40 %, bevor sie die Talsohle durchschritt - viel mehr als erwartet. Es ist wahrscheinlich, dass das Produktionsniveau vor der Transformation auf Grund fehlerhafter Statistiken überschätzt wurde. Wenn die Wertschöpfung richtig zu Marktpreisen gemessen worden wäre, wäre die Produktion vor der Transformation, und damit der Zusammenbruch der Produktion, viel niedriger gewesen. 1998 wuchs die Produktion in allen drei Gruppen (siehe Abbildung 1), obwohl die vor der Transformation gemessene Produktion in den meisten Ländern noch nicht überschritten worden war.
Wie wurde die Inflation eingedämmt? Die meisten der ersten Reformländer wählten eine explizite oder implizite Wechselkursanbindung.3 Das heißt in anderen Worten, dass die Regierung des Landes versprach, gegebenenfalls ihre Währung gegen ,,harte" Währung, d. h. eine international anerkannte Währung mit relativ stabilem Wert, einzutauschen. Da eine zu rasche Ausweitung der Geldmenge, z. B. auf Grund übermäßiger Regierungsausgaben, die Aufrechterhaltung der Anbindung erschweren würde, handelte es sich im Wesentlichen um ein Versprechen, eine strenge makroökonomische Politik zu verfolgen.4 Diese Politik und ihre Auswirkungen auf die Inflationserwartungen des Privatsektors trugen dazu bei, die Inflation zu senken. Andere Mechanismen als Wechselkursanbindungen haben jedoch ebenfalls die Inflation erfolgreich gesenkt. Viele Länder verliehen der Zentralbank verfassungsmäßig eine beträchtliche Unabhängigkeit, eine strenge Geldpolitik zu verfolgen, oder akzeptierten die Disziplin der IWF-gestützten makroökonomischen Programme. Dies trug ebenfalls zur Kontrolle der Inflation bei.5 Weshalb sank die Produktion zu Beginn und so beträchtlich, weshalb nahm der Zusammenbruch in den einzelnen Ländern unterschiedliche Formen an und was erklärt die Belebung der Produktion? Diese Fragen waren Gegenstand vieler ökonometrischer Untersuchungen. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass nur ein relativ geringer Anteil des anfänglichen Produktionsrückgangs auf eine strenge makroökonomische Politik zur Bekämpfung der Inflation zurückzuführen war. Statt dessen war ,,Desorganisation" - zusammen mit Schocks wie dem Zusammenbruch des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) - ein wichtiger Faktor. Desorganisation bezieht sich auf Störungen im Produktionsnetz, insbesondere bei der Lieferung von Werkstoffen und Vorprodukten, die auf den Zusammenbruch der Zentralverwaltung und die Zerschlagung vertikal integrierter Konglomerate des alten Systems zurückzuführen sind. Solche Störungen führten zu Produktionseinbußen. Bei einigen Ländern wird auf ,,ungünstige Startbedingungen" verwiesen, um zu erklären, weshalb der Zusammenbruch in den einzelnen Ländern unterschiedliche Formen annahm. Es geht hier um die Tatsache, dass die Merkmale der Volkswirtschaften zu Beginn der Transformation unterschiedlich waren und in vielen Ländern die Aufgabe erschwerten, die wirtschaftliche Aktivität aufrecht zu erhalten. Es gab zum Beispiel Unterschiede in der Fähigkeit, den Handel zu den fortgeschrittenen Volkswirtschaften umzuleiten, im Ausmaß der Industrialisierung (das zum Teil die Rolle widerspiegelte, die die Länder im Sowjetsystem gespielt hatten) sowie im Anteil der Landwirtschaft in der Volkswirtschaft, in den Qualifikationen, gemessen am Besuch von Sekundarschulen, sowie in der Zahl der Jahre unter dem Kommunismus. Es ist nicht erstaunlich, dass die Länder, in denen die Startbedingungen ungünstiger waren, in der Anfangsphase einen stärkeren Produktionsrückgang aufwiesen. Worauf ist die anschließende Erholung der Produktion zurückzuführen? Ein wichtiger Faktor waren die Fortschritte bei der Senkung der Inflation. Die Länder, die die Inflation schnell eindämmten und die Vorteile aufrecht erhielten, hatten eine schnellere und stärkere Belebung der Produktion.
Dies wird in Abbildung 2 verdeutlicht, wo die Beziehung zwischen der Veränderung der Produktion in einem Land und den Fortschritten des Landes bei der Senkung der Inflation dargestellt wird. Jeder ,,Diamant" in der graphischen Darstellung stellt ein Land dar; die Ländernamen werden im Schaubild nicht aufgeführt, um es nicht zu überladen. Die Länder rechts unten in der Darstellung hatten eine niedrige Inflation (in Bezug zu anderen Transformationsländern) und die Produktion hatte einen Aufschwung; die Länder links oben hatten eine hohe Inflation, und es kam zu Produktionseinbußen. Aus der Darstellung geht hervor, dass es den Ländern, die die Inflation unter Kontrolle gehalten haben, besser gelungen ist, die Wirtschaftstätigkeit aufrecht zu erhalten als Ländern, in denen die Inflation nicht kontrolliert wurde. Obwohl Fortschritte bei der Senkung der Inflation für die Belebung des Wachstums notwendig waren, waren sie nicht ausreichend. Strukturreformen waren wesentlich für eine nachhaltige Erholung, weil sie das Wachstum des Privatsektors fördern. Dort, wo die Strukturreformen frühzeitig und entschlossen umgesetzt wurden, entstanden schnell neue Produktionsnetze, mit denen der Desorganisation der ersten Transformationsjahre entgegengewirkt werden konnte. Dieser Sachverhalt wird in Abbildung 3 verdeutlicht. Die Produktion war, bezogen auf das Niveau vor der Transformation, in den Ländern höher, in denen die Strukturreformen, gemessen an einem Index der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), am weitesten fortgeschritten waren6. Die meisten dieser Länder gehörten zur Gruppe der MOE-Länder und der baltischen Staaten. Wie in der obigen Abbildung stellt jeder ,,Diamant" im Schaubild ein Land dar. Die Länder in der oberen Ecke des Schaubildes haben die Strukturreformen entschlossener durchgeführt (als andere Transformationsländer), und die Produktion hat sich erholt; die Länder links unten im Schaubild führten die Strukturpolitik nur zögerlich durch und erlitten Produktionseinbußen.
Wie in Kasten 2 erläutert sind die Erfahrungen von vier asiatischen Transformationsländern - China, Kambodscha, Laos und Vietnam - ebenfalls interessant und weisen einige Aspekte auf, die sich von den Erfahrungen der ,,europäischen" Transformationsländer unterscheiden.
IV. PrivatisierungWie oben gesagt herrschte unter den Ökonomen weitgehend Einvernehmen, dass die Liberalisierung und Stabilisierung schnell durchgeführt werden müssen. In Bezug auf die Privatisierung großer Unternehmen gab es jedoch Meinungsverschieden-heiten zu der Frage, ob die Vermögenswerte schnell vom Staat an den Privatsektor übertragen werden sollten oder ob ein graduellerer Ansatz gewählt werden sollte.7 Die Befürworter einer schnellen Privatisierung forderten die Beseitigung des Staatseigentums, indem die Vermögenswerte an die Bürger übertragen werden, zum Beispiel in der Form von Gutscheinen, die ihren Inhabern das Recht und die Mittel geben, zu veräußernde Staatsunternehmen zu kaufen. Sie waren dabei geleitet von dem Grundsatz der Fairness, von dem Wunsch, den einfachen Leuten eine Beteiligung in der Volkswirtschaft zu ermöglichen. Sie sahen außerdem die Notwendigkeit, die Gelegenheit der Privatisierung zu nutzen, bevor die staatlichen Bürokratien sich neu gruppieren und Widerstand gegen diesen Prozess aufbauen. Andere sprachen sich für einen graduelleren Abbau der Staatsunternehmen aus, weil neue Privatunternehmen entstanden. Sie waren für die Privatisierung von Unternehmen durch den Verkauf von Vermögenswerten an diejenigen, die sich voraussichtlich für eine Verbesserung der Leistung der Unternehmen einsetzen. Sie betonten außerdem die Einführung von ,,strengen Haushaltskriterien" bei den Unternehmen, damit Unternehmen, die ständig rote Zahlen schreiben, aus dem Markt gedrängt werden und die rentableren Unternehmen Investoren anziehen können. Ungarn hat diesen graduellen Ansatz bei der Privatisierung verfolgt, und es hat den Anschein, dass dies einer wirklichen Umstrukturierung der Unternehmen förderlich war. Im Gegensatz dazu hat die Erfahrung einige Gefahren des schnellen Privatisierungsansatzes gezeigt. In der Tschechischen Republik zum Beispiel wurden die Vermögenswerte, die in der ersten Phase einer raschen Privatisierung an Millionen einfacher Leute übertragen worden waren, von den Begünstigten verkauft und schließlich in Investmentfonds konsolidiert. Es gab jedoch keine wirkliche Umstrukturierung der Unternehmen, entweder weil den Investmentfonds das Kapital fehlte, sie zu entwickeln, oder weil die Fonds ihrerseits von staatlichen Banken kontrolliert wurden, die keine strengen Haushaltskriterien einführten. Das schwache Wachstum der Tschechischen Republik Ende der 90er Jahre im Vergleich zu anderen MOE-Ländern wird teilweise auf die unzureichenden Unternehmensreformen zurückgeführt. Die schnelle Privatisierung führte in Russland zu noch schlechteren Ergebnissen. Das Massenprivatisierungsprogramm des Landes von 1992-94 übertrug den Besitz von über 15.000 Unternehmen in Privathände. Im Gegensatz zu den Erwartungen führte die Insider-Privatisierung jedoch nicht zu einer eigenständigen Umstrukturierung der Unternehmen. Man hoffte, dass der Handel auf dem Sekundärmarkt zu Eigentum in der Hand von Außenstehenden führen würde und dass in der zweiten Privatisierungswelle der noch in staatlicher Hand verbliebenen Unternehmen transparente Methoden eingesetzt würden. Keine dieser Hoffnungen wurde erfüllt. Die Insider sträubten sich dagegen, die Kontrolle abzugeben; die Arbeitnehmer fürchteten die Kostensenkungsmaßnahmen, die unter externer Kontrolle ergriffen werden könnten, und die Geschäftsführer hielten es für einfacher, die Unternehmen am Leben zu erhalten, indem sie bei der Regierung Druck für Subventionen ausübten, anstatt die Wettbewerbsfähigkeit durch die Beteiligung externer Kräfte zu verbessern. Die zweite Privatisierungswelle, insbesondere die Pfandauktion zur Gewährung von Krediten an den Staatshaushalt - ,,loans for shares" - war nicht transparent und schloss Auslandsinvestoren und Banken systematisch zu Gunsten von Parteien aus, die Beziehungen zu Regierungskreisen hatten. Im Allgemeinen geht aus der Erfahrung der Transformationsländer hervor, dass die privatisierten Unternehmen in der Regel schneller umstrukturiert werden und leistungsfähiger sind als vergleichbare Unternehmen, die in staatlichem Besitz bleiben, aber nur, wenn Zusatzbedingungen erfüllt werden. Zu diesen Bedingungen gehören strenge Haushaltsauflagen und Wettbewerb, effektive Normen für die Unternehmensführung sowie eine effektive Rechtsstruktur und Eigentumsrechte.8 Im Gegensatz zu den gemischten Erfahrungen bei der Privatisierung großer Unternehmen war die Privatisierung kleiner Unternehmen im Allgemeinen erfolgreich, und ist bis auf fünf Länder in allen Ländern erfolgreich abgeschlossen. V. KapitalströmeDer Übergang zur Marktwirtschaft erforderte beträchtliche Finanzbeträge, um die Lenkung der Investitionen in die produktiven Sektoren zu erleichtern, veraltete Maschinen zu modernisieren, die öffentliche Infrastruktur zu verbessern und neu entstehende Firmen zu finanzieren. Es war jedoch in den ersten Jahren des Übergangs schwer für die Regierungen in diesen Ländern, das erforderliche Kapital aufzubringen. Ein `Marshall-Plan' für die Transformationsländer wurde niemals in die Tat umgesetzt. Statt dessen gewährten vor allem die internationalen Finanzinstitutionen, die Europäische Union und einzelne Länder externe Hilfe in einem viel geringeren Umfang. Ein weiterer Faktor, der zur Kapitalknappheit beitrug, bestand darin, dass das Privatkapital auf Grund der unsicheren Lage zu Beginn des Übergangs aus den Ländern abgezogen wurde. Sobald die Ausrichtung der Reformen in vielen MOE-Ländern und baltischen Ländern Fuß gefasst hatte, kehrte das Privatkapital jedoch schnell zurück. Schaubild 1 fasst die Ergebnisse zusammen, indem die durchschnittlichen Jahresschätzungen für die Kapitalflucht, die Inflationsrate, das reale BIP-Wachstum, der Haushaltssaldo und die Qualität der Reformen in den ersten Jahren des Übergangs mit den späteren Jahren verglichen werden.9 In den MOE-Ländern ging der Rückgang der Inflation und die Verbesserung in der Qualität der Strukturreformen mit einer Umkehr der Kapitalströme einher, von Nettoabflüssen in Höhe von 15 $ pro Kopf zu Nettozuflüssen in Höhe von 75 $ pro Kopf. In ähnlicher Weise verwandelten die Fortschritte der baltischen Staaten bei der Inflation und den Strukturreformen sowie die Kontrolle des Haushaltssaldos einen Nettoabfluss in Höhe von 30 $ pro Kopf in einen Nettozufluss in Höhe von 70 $ pro Kopf. Russlands Erfahrung steht in krassem Gegensatz dazu. Nach mehreren Jahren des Übergangs leidet Russland immer noch unter einer massiven Kapitalflucht. Obwohl die Inflation unter Kontrolle gebracht wurde, liegt Russland bei der Umsetzung der Strukturreformen zurück. VI. Ungleichverteilung 10Die Einkommensungleichverteilung hat, nicht überraschend, im Laufe des Übergangs zugenommen. Ein häufig verwendetes Maß für Ungleichverteilung ist die Gini-Kennzahl für Einkommen, in der Werte zwischen Null und Eins verwendet werden; der Wert Null gibt dabei eine vollkommene Gleichheit der Einkommensverteilung an. Die Gini-Kennzahlen vor dem Übergang lagen bei etwa 0,25, in der Nähe der skandinavischen Länder und weit unter denjenigen der Vereinigten Staaten (0,4). Die Gini-Kennzahlen nach dem Übergang sind gestiegen und liegen zwischen 0,2 in Slowenien und 0,5 in der Ukraine. In Ländern mit größerem Wachstum - gemessen an dem kumulativen BIP-Wachstum in den ersten acht Jahren des Übergangs - war die Zunahme der Ungleichverteilung geringer. Dies wird in Abbildung 4 verdeutlicht. Die Tatsache, dass die Zunahme der Einkommens-Ungleichverteilung in vielen Ländern gering war, bedeutet nicht, dass der Übergangsprozess keine Gewinner und Verlierer hervorgebracht hätte. Der Fall Polen verdeutlicht diesen Sachverhalt. In Polen war eine beträchtliche Zunahme der Ungleichverteilung in den Arbeitseinkommen festzustellen. Sozialtransfers trugen jedoch dazu bei, diese Verlagerung abzuschwächen, so dass die Zunahme der Einkommens-Ungleichverteilung weitaus niedriger ausfiel. Interessanterweise zielten die Transferzahlungen auf Personen ab, die durch den Übergang am meisten verloren oder zu verlieren hatten. Dabei handelte es sich gewöhnlich um die Mittelschicht und nicht um die Armen; das heißt also, dass diese Zielgruppe nicht gewählt worden wäre, wenn das Ziel darin bestanden hätte, der Bevölkerungsgruppe zu helfen, bei der die absolute Not am größten war. Diese Transfers haben aber wahrscheinlich die Reformbemühungen gefördert, indem sie die Personen, die sich diesen Reformen voraussichtlich am schärfsten widersetzt hätten, dazu veranlassten, die Reformen zu unterstützen. Diese kurze Erörterung der Ungleichverteilung ist keineswegs eine vollständige Analyse der häufig schmerzhaften sozialen Veränderungen im Laufe des Übergangs. Ein wichtiger Aspekt bei der Zunahme der Ungleichverteilung besteht zum Beispiel in der relativen Verschlechterung der Lage der Rentner (obwohl dies in Polen nicht der Fall war). Angesichts des demografischen Drucks in diesen Ländern ist dieses Problem im Rahmen der bestehenden umlagefinanzierten Rentensysteme nur sehr schwer zu lösen. Die Rentenreform wird in den meisten dieser Länder die Situation verbessern, dies wird jedoch leider für die heutige Generation von Rentnern zu spät sein. Außerdem haben sich in einigen der Übergangsländer mehrere andere soziale Indikatoren verschlechtert. VII. Russland, was nun? Das Engagement zur makroökonomischen Stabilisierung, das spät entstand und in der Krise von 1998 bedroht war, scheint inzwischen in Russland Fuß gefasst zu haben. Die Anstrengungen zur Strukturreform waren jedoch schwach, und die Privatisierung wurde oft schlecht umgesetzt. Wie sieht nun der zukünftige Weg Russlands aus? Es gibt eine Reihe von Antworten auf diese Frage, die die Meinungsunterschiede in Bezug auf den Reformprozess in Russland widerspiegeln. Eine häufig geäußerte Meinung geht dahin, dass der in Russland gewählte Reformansatz, insbesondere in Bezug auf die Privatisierung, grundsätzlich fehlerhaft war, weil eine radikale Reform an Stelle einer schrittweisen institutionellen Entwicklung gewählt wurde. Joseph Stiglitz zufolge war das Scheitern der raschen Privatisierung in Russland ,,kein Unfall, sondern eine vorhersehbare Folge" der ausbleibenden Wettbewerbspolitik und der mangelnden institutionellen und rechtlichen Infrastruktur, die zur Unterstützung erfolgreicher Reformanstrengungen erforderlich sind. 11 Seiner Meinung nach sollte Russland jetzt sehr schrittweise mit der Privatisierung fortfahren (bzw. mit der Reprivatisierung von Vermögenswerten, die wieder in den Besitz des Staates gelangen), und dabei sollte eindeutig anerkannt werden, dass institutionelle Voraussetzungen erfüllt werden müssen und dass das soziale und organisatorische Kapital von Russland angemessen genutzt werden muss. Stiglitz ist der Meinung, dass Russland in dieser Hinsicht von den ,,enormen Erfolgen Chinas lernen kann, das seinen eigenen Transformationsweg entwickelt hat, anstatt einfach einen Entwurf oder ein Rezept von westlichen Beratern zu übernehmen". Einige russische Beobachter und Entscheidungsträger wie Boris Fedorov und Andrei Illarionov vertreten eine entgegengesetzte Auffassung und gehen davon aus, dass die Reformstrategie richtig war, aber niemals umgesetzt wurde, teilweise auf Grund der Nachlässigkeit der fortgeschrittenen Marktwirtschaften und der internationalen Finanzinstitutionen.12 So schreibt Illarionov zum Beispiel:
Fedorov vertritt eine ähnliche Position und empfiehlt dem Westen, ,,Russland keine Konzessionen zu gewähren, sondern die Regeln anzuwenden, die für jedes andere Land auch gelten. Westliches Kapital sollte in den Privatsektor fließen, nicht zur Regierung. Nur so kann ein Beitrag dazu geleistet werden, das Land zu ändern, Arbeitsplätze zu schaffen und die Effizienz zu verbessern." Der IWF räumt zwar ein, dass den institutionellen Reformen größere Aufmerksamkeit hätte geschenkt werden müssen, er geht jedoch davon aus, dass die in Russland verfolgte grundlegende Strategie solide war, aber auf Grund verschiedener besonderer Faktoren vom Kurs abkam. So schreiben zum Beispiel Fischer und Sahay, dass die Ursache der gegenwärtigen Probleme Russlands zum großen Teil darauf zurückzuführen ist, ,,dass die Reformen nach den Wahlen von 1996 nicht entschlossen genug fortgesetzt wurden, weil mächtige Interessengruppen ihren Einfluss auf die politische und wirtschaftliche Macht verstärkten und dadurch die Korruption vertieften". Es ist nicht erforderlich, die Reformstrategie grundsätzlich zu ändern, sondern die politischen Behörden müssen ,,die Reformen erneuern und die Regierungsführung verbessern." Die oben zusammengefassten Erfahrungen aus den MOE-Ländern und den baltischen Ländern zeigen, dass das Kapital in das Land zurückfließt, sobald die Reformen Wurzeln schlagen und somit die Grundlage für nachhaltiges Wachstum schaffen.13 Kann die Macht der Interessengruppen überwunden werden? Havrylyshyn und Odling-Smee sind hoffnungsvoll.14 Es ist möglich, dass die Interessengruppen selbst Reformen akzeptieren, wenn sie zu der Auffassung gelangen, dass ihre zukünftigen Gewinne in einer Volkswirtschaft höher sind, ,,in der die Eigentumsrechte geschützt sind und der Rechtsstaat herrscht, an Stelle der Gesetzlosigkeit, die heute in vielen Teilen der GUS vorherrscht. Eine solche Wandlung vom Plünderer zum Bewahrer ist in den Marktwirtschaften sichtbar ...". Der Wandel kann auch durch eine starke Führungspersönlichkeit herbeigeführt werden, die dazu bereit ist, gegen die Interessengruppen vorzugehen, oder durch den politischen Einfluss einer wachsenden Mittelschicht oder durch Druck von ausländischen Konkurrenten und internationalen Finanzinstitutionen. VIII. Eine ZusammenfassungDer Übergang hat beträchtliche Erfolge erzielt. Obwohl der Schwerpunkt dieser kurzen Abhandlung auf den wirtschaftlichen Entwicklungen lag, ist der erste große Erfolg das weit verbreitete, wenn auch bei weitem noch nicht universelle, Engagement zur Demokratie und zur Schaffung einer Marktwirtschaft. Der Übergang zur Marktwirtschaft geht in den meisten Ländern mit zunehmender politischer Freiheit einher. Bis auf sechs Länder werden alle dieser Länder von der Menschenrechts-Organisation Freedom House als ,,frei" oder ,,teilweise frei" eingestuft; regelmäßige Wahlen in diesen Ländern geben den Bürgern die Möglichkeit, den Transformationsprozess mitzugestalten. Politiker, die für eine Umkehr des Prozesses zur Marktwirtschaft eintreten, haben niemals die Regierungsverantwortung übernommen, obwohl nicht-reformierte kommunistische Parteien in einigen Fällen bis zu einem Drittel der Stimmen erhalten haben.15 Es hat deshalb den Anschein, dass die Bürger trotz der durch die Transformation entstandenen wirtschaftlichen Not ein Zurückstellen der Uhr als das schlechteste Ergebnis betrachten. Zweitens, das Engagement zu makroökonomischer Stabilität scheint Fuß gefasst zu haben, und die Inflation ist in den meisten Fällen unter Kontrolle. Ein Beispiel dafür ist die Entschlossenheit Russlands, im Anschluss an die Rubel-Abwertung von 1998 eine Inflationsspirale zu verhindern. Drittens, viele der grundlegenden institutionellen Strukturen von Marktwirtschaften wurden in den meisten Ländern aufgebaut, zumindest im rechtlichen Sinne. Dazu gehören Konkursverfahren, Wettbewerbspolitik und Anti-Monopol-Bestimmungen, Verbesserungen in den Rechnungslegungs-Standards sowie Rechtsvorschriften für die Regulierung der Finanzmärkte. In den mitteleuropäischen und baltischen Staaten entstand das Engagement für makroökonomische Stabilisierung früher, und die Umsetzung der Strukturreformen war entschlossener. Diese Länder gehören inzwischen wieder zu den Ländern mit mittlerem Einkommen und können von sich behaupten, den Übergang bewältigt zu haben. Diese Länder stehen heute vor den Herausforderungen, die durch den Beitritt zur EU und allgemein durch den Aufholprozess gegenüber den reicheren Ländern entstehenn. Es herrscht allgemein Einvernehmen, dass Russland und die anderen GUS-Länder einen ähnlichen Weg beschreiten können und sollten, das Bewusstsein für die Schwierigkeiten beim Aufbau von Institutionen und die Macht der Interessengruppen, den Reformprozess in der Zwischenzeit aus dem Gleis zu bringen, wird jedoch immer größer.
1 Siehe z. B. Stanley Fischer und Alan Gelb, 1991, "Issues in Socialist Economy Reform," (Probleme bei der Reform sozialistischer Volkswirtschaften), Journal of Economic Perspectives, Band 5 (Herbst), S. 91-105. 2 Dieser Abschnitt stützt sich auf Stanley Fischer und Ratna Sahay, "Taking Stock," (Bestandsaufnahme) Finance & Development, September 2000, S. 2-6; Charles Wyplosz, "Ten Years of Transformation: Macroeconomic Lessons," (Zehn Jahre Übergang: Makroökonomische Lehren) Working Paper, April 1999; Oleh Havrylyshyn, Ivailo Izvorski und Ron van Rooden, "Recovery and Growth in Transition Economies, 1990-97: A Stylized Regression Analysis," (Aufschwung und Wachstum in den Transformations-ländern, 1990-97: Eine stilisierte Regressions-Analyse) IWF Working Paper Nr. 98/141, September 1998; sowie Carlo Cottarelli und Peter Doyle, "Disinflation in Transition, 1993-97," (Desinflation während des Übergangs, 1993-97) Occasional Paper Nr. 179, 1999. 3 Estland, Kroatien, Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei und Ungarn führten relativ feste Systeme ein, während Lettland, Litauen und Slowenien flexiblere Regime wählten. 4 Für eine Erörterung der Verbindung zwischen fiskalischer Konsolidierung und Inflation siehe Cottarelli und Doyle (1999). 5 Siehe Prakash Loungani und Nathan Sheets, "Central Bank Independence, Inflation and Growth in Transition Economies" (Unabhängigkeit der Zentralbank, Inflation und Wachstum in den Transformationsländern), Journal of Money, Credit and Banking, August 1997, S. 381-99, sowie Tonny Lybek, "Central Bank Autonomy, and Inflation and Output Performance in the Baltic States, Russia, and Other Countries in the Former Soviet Union" (Unabhängigkeit der Zentralbank sowie Inflation und Produktion in den baltischen Staaten, Russland und anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion, 1995-97), IWF Working Paper 99/4, Januar 1999. 6 Der EBWE-Index ist ein zusammengesetzter Indikator für Fortschritte in den folgenden Reformbereichen: Preisliberalisierung, Handels- und Wechselkursliberalisierung, Zugang zum Privatsektor und Rechtsreformen. 7 Siehe Janos Kornai, "Making the Transition to Private Ownership," (Bewältigung des Übergangs zum Privatbesitz) Finance and Development, September 2000, S. 12-13. 8 Siehe World Economic Outlook, September 2000, Kasten 3.4 "Privatization in Transition Economies" (Privatisierung in den Transformationsländern); Frydman, Gray, Hessel und Rapaczynski, "When Does Privatization Work? The Impact of Private Ownership on Corporate Performance in the Transition Economies," (Wann funktioniert die Privatisierung? Die Auswirkungen des Privatbesitzes auf die Leistung der Unternehmen in den Transformationsländern) The Quarterly Journal of Economics, November 1999, 1153-91; John Nellis, "Time to Rethink Privatization in Transition Economies," (Ein neuer Ansatz für die Privatisierung in den Transformationsländern) IFC Discussion Paper Nr. 38, 1999. 9 Prakash Loungani und Paolo Mauro, "Capital Flight from Russia" (Kapitalflucht aus Russland), IWF, Wirtschaftspolitisches Diskussionspapier 00/07, Mai 2000. 10 Die Diskussion in diesem Abschnitt stützt sich auf Keane und Prasad, "Inequality, Transfers and Growth: New Evidence from the Economic Transition in Poland", (Ungleichverteilung, Transferzahlungen und Wachstum: Neue Erkenntnisse über den wirtschaftlichen Übergang in Polen) IWF Working Paper 00/117, Juni 2000. 11 Stiglitz ist kein Kritiker einer raschen Vorgehensweise bei der makroökonomischen Stabilisierung: ,,Ich habe keine großen Schwierigkeiten mit der ,,Schocktherapie" als Maßnahme, um die Erwartungen zum Beispiel in einem Inflationsbekämpfungs-Programm anzupassen", S. 22, "Whither Reform? Ten Years of the Transition" (Reform, und was nun? Zehn Jahre Übergang), Festansprache bei der Jahrestagung der Weltbank über Entwicklungspolitik, April 1999. 12 "Russia and the IMF" (Russland und der IWF), Aussage von Andrei Illarionov vor dem Ausschuss für Banken und Finanzdienstleistungen im US-Repräsentantenhaus, 10. September 1998; "Killing with Kindness: No More `Help' for Russia, Please" (Mord mit guter Absicht: Bitte keine ,,Hilfe" mehr für Russland) von Boris Fedorov, Asian Wall Street Journal, 12. Juni 2000. 13 Siehe auch "How Russia can be helped to help itself," (Hilfe zur Selbsthilfe für Russland) von Laurent Fabius und Hubert Vedrine, Financial Times, 25. April 2000, sowie "Russia's route to sustainable growth," (Russlands Weg zu nachhaltigem Wachstum) von James Gwartney, Financial Times, 8. Mai 2000. 14 Oleh Havrylyshyn und John Odling-Smee, "Political Economy of Stalled Reforms," (Politische Ökonomie hinausgezögerter Reformen) Finance & Development, September 2000, S. 7-10. 15 Anders Aslund, "State and Governance in Transition Economies", (Staat und Regierungsführung in Transformationsländern) Entwurf, 15. Juni 2000. |